Wer am vorigen Wochenende in Siebenbürgen etwas erleben wollte, hatte es nicht leicht, sich zu entscheiden. Die Mediascher hatten für ihr erstes Heimattreffen gleich fünf Tage eingeplant und ein reichhaltiges Programm zusammengestellt. In der Nachbarschaft waren es die Hetzeldorfer und ein paar Täler weiter die Roder, die ihre Heimattreffen diesmal in der alten Heimat abhielten. Außerdem lief in Schäßburg ein Klassentreffen in der Bergschule, und in Thalheim neben Hermannstadt weihte die Papageno-Stiftung ein Kinderheim ein. Wohin also? Wir entschieden uns für das abgelegene Rode/Zagar im Zwischenkokelgebiet. Die Gemeinde im Norden von Elisabethstadt/Dumbraveni blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Rode gehörte zu den dreizehn untertänigen Dörfern im Kokelgebiet und war ungarischen Adelsfamilien unterstellt. 1412 erstmals urkundlich erwähnt, gelang es Rode erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den gesamten Grundbesitz aufzukaufen und ein freier Ort zu werden. Durch die abgelegene Lage konnten sich in Rode Tradition und Brauchtum bis ins letzte Jahrhundert bewahren, so eine besonders schöne, altüberlieferte Volkstracht. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges lebten in Rode 1.614 Einwohner, davon waren 74 Prozent Deutsche. Im Herbst 1944 entschlossen sich die Roder, gleich den benachbarten Dörfern, mit dem Treck nach Westen zu fliehen. Heute lebt ein Großteil von ihnen in …sterreich, Deutschland, doch auch in Kanada und in den USA. Denn nur ein Drittel kehrte wieder nach Siebenbürgen zurück. Wie in der Bistritzer Gegend, fanden sie ihre schönen Häuser von Rumänen und Zigeunern besetzt. Trotzdem schafften sie einen Neuanfang. Rudolf Melzer gehört zu den bemerkenswerten Pfarrern der evangelischen Landeskirche in der Nachkriegszeit. †ber drei Jahrzehnte lang wirkte er in dieser Gemeinde und wurde zur Integrationsfigur der Dorfgemeinschaft. Als vor zwei Jahren am Kircheneingang eine Gedenkplakette für ihn angebracht wurde, nannten die Rumänen ihn ãpãrintele nostru Melzer, zur Rührung der anwesenden Sachsen. Wer war Rudolf Melzer? Der Bistritzer Pfarrer Hans Dieter Kraus, damals als Jungpfarrer in Rode im Praktikum, kann sich gut an ihn erinnern und meint, von ihm geprägt worden zu sein. Pfarrer Melzer war nicht nur ein guter Theologe und ausgezeichneter Pfarrer, der seine Predigten gewissenhaft vorbereitete. Er bemühte sich vor allem um ein gutes Zusammenleben der verschiedenen Ethnien in diesem Dorf. Es gelang ihm, Spannungen ab- und Verständnis füreinander aufzubauen. Er lehrte seinen orthodoxen Amtskollegen, die Buchhaltung zu führen, er vermittelte den mitwohnenden Ethnien praktische Kenntnisse in allen Bereichen. Wenn Rode vormals ein echtes sächsisches Dorf mit reicher Tradition gewesen war, galt es nun, sich unter den Rumänen und Zigeunern zu behaupten, was vollends gelang, denn die Roder waren immer schon sehr fleißige und selbstbewußte Bauern gewesen. Das war beim ersten Roder Treffen in der alten Heimat an allen Ecken und Enden zu spüren. Das Dorf war festlich hergerichtet. Der Bürgermeister und der orthodoxe Pfarrer nahmen am Gottesdienst nicht nur teil, sondern beteiligten sich direkt am Geschehen. Der orthodoxe Pfarrer hielt eine kurze Ansprache im Altarraum, und der orthodoxe Kirchenchor sang ein Abschlußlied. Durch die ganze Kirche wehte der Geist Rudolf Melzers. Das bewies auch die rumänische Dorfgemeinschaft, als sie nach der Wende einen sächsischen Bürgermeister wählte. Adolf Hedrich ist ein äußerst aktiver, phantasiereicher Mann, der ständig mit †berraschungen aufwartet. Seine Idee war es, die ausgewanderten Roder aus aller Welt zu einem Heimattreffen in Siebenbürgen zu laden, und er war es auch, der den Zaranisten-Politiker Vasile Lupu eigens zu diesem Fest eingeladen hatte. Vasile Lupu nahm am ganzen Geschehen teil, saß brav im Kirchenchor neben den Roder Persönlichkeiten und hielt auf dem Friedhof eine kurze Ansprache über seinen Einsatz für die Bodenrückgabe, auch an die Siebenbürger Sachsen. Der HOG-Vorsitzende Hans Karl Bell aus Nürnberg hatte es geschafft, die Skepsis der Roder im Ausland abzubauen. Zu viele tragische, wehmütige Erinnerungen bedrückten die Ausgewanderten. Doch der Zusammenhalt ist auch in Deutschland beispielhaft. An die 700 Roder treffen sich alle zwei Jahre beim Roder Treffen, Tradition wird gepflegt, gemeinsame Reisen, sogar nach Kanada, erhalten und verstärken das Gemeinschaftsgefühl. So schaffte es Hans Karl Bell, 230 Mann auf eine zehntägige Rundreise nach Siebenbürgen zu locken. Man besichtigte Wien und Großwardein, danach Neumarkt, Kronstadt mit der Schulerau, Hermannstadt und natürlich Rode. Auf der Rückreise stand auch das rumänische Touristendorf Sibiel im Programm. Man wollte die Heimat so erleben, wie sie jetzt ist und immer schon war: ein Landstrich, wo verschiedene Ethnien gut zusammenleben können, wenn sie es nur wollen. Ganz im Sinne des unvergessenen Rudolf Melzer!
Christa Richter
Hermannstädter Zeitung Nr. 1780 / 31. Mai 2002